Roxana Rios
- A
- In deiner Arbeit geht es um individuelle und kollektive Identitäten. Warum ist für Dich Fotografie dafür eine wichtige Technik?
- Wie erklärst Du jemandem Deine Bilder, der keine Ahnung von Fotografie hat?
- Performative Situationen spielen in Deiner Arbeit eine wichtige Rolle. Wie entstehen diese? Als spontane Interaktion? Nach Skript? Noch anders?
- Welche Rolle spielt das Editieren in Deinem Arbeitsprozess - ggf. für verschiedene Präsentationsformen? Was geschieht dabei?
- Hast Du mit der Arbeit an einem neuen Projekt begonnen? Gibt es was zu verraten?
- Nalo
- B
- CPublications
Artist Statement
(EN) My current practice engages in critical discussions concerning the development of (hegemonial) narratives, as well as the relations between image- and knowledge-production. Within photographic, performative and installative formats, I examine the body as a construct, material and representative within social orders.
In reference to Butler, I understand bodies as modes of relationships in mutual interdependences. My work engages with this interest through an analysis of culturally constructed bodily relations, as well as the construction of conditioning systems. How do identities, structures, and connotations manifest - how do these cultural signs become read-/and negotiable? (How) can new narratives and contemporary equivalents of political phantasms be produced?
In this function, the work understands itself as an exercise in utopian thinking, seeing and speaking – a contribution to contemporary, social and aesthetic discourses.
(DE) Meine künstlerische Praxis beschäftigt sich kritisch mit der Entwicklung von (hegemonialen) Narrativen sowie Beziehungen zwischen Bild- und Wissensproduktion. Innerhalb fotografischer, performativer und installativer Formate untersuche ich den Körper als Konstrukt, Material und Repräsentant in innerhalb gesellschaftlicher (An-)Ordnungen.
In Anlehnung an J. Butler verstehe ich Körper hierbei als Modi von Beziehungen in wechselseitiger Abhängigkeit. Meine Arbeit geht diesem Interesse als Analyse kulturell erzeugter Körperverhältnisse, sowie der Konstruktion bedingender Systeme nach. Wie manifestieren sich Identitäten, Strukturen und Konnotationen – wie werden diese kulturellen Zeichen les-/ bzw. verhandelbar. (Wie) können neue Narrative und zeitgenössische Äquivalente politischer Phantasmen hervorgebracht werden ?
In dieser Funktion versteht sich meine Arbeit als Testfeld utopischen Denkens, Sehens und Sprechens, als Beitrag zu zeitgenössischen, gesellschaftlichen sowie ästhetischen Diskursen.
5 Questions 2, Im Gespräch mit FOTOTREFF Berlin
Fotografie ist für mich ein zentrales Mittel zur Auseinandersetzung mit Identität, weil sie nicht nur ein Abbild schafft, sondern immer auch ein Beziehungsraum ist. Identität ist kein festes Konstrukt, sondern entsteht in Beziehung – sie formt sich in Wechselwirkungen zwischen dem Selbst und dem Gegenüber, zwischen Darstellung und Wahrnehmung. Fotografie macht Vorstellungen von Identität nicht nur sichtbar, sondern greift aktiv in die Herstellung von Identität ein.
Dabei sind auch singuläre Selbstinszenierung nie rein persönlich; Jede fotografische Geste verweist über das Individuum hinaus auf soziale Codierungen, geteilte Symbolsysteme und kulturelle Skripte. Ich verstehe Fotografie in diesem Sinne als semiotisches Feld: ein Ort, an dem Zeichen gelesen, befragt und in ihrer Bedeutungsproduktion sichtbar gemacht werden können. Sie bietet ein Vokabular, mit dem sich Identität als ein Ensemble visueller Zeichen lesen lässt – fluide, fragmentiert, kontextabhängig und historisch gerahmt.
Hinzu kommt, dass die Geschichte der Fotografie seit jeher eng mit der Produktion von Identitätskategorien verwoben ist - daraus ergibt sich für mich als Fotograf*in auch eine Verantwortung. Fotografie bietet mir nicht nur eine ästhetische, sondern auch eine soziale und politische Dimension der Identitätsverhandlung.
Ich denke in gewisser Weise haben zunächst alle Personen (die meine Arbeit sehen) ja ihre eigenen Ahnungen von Fotografie, Lesarten und Bildverständnisse. Da verschiedene Blickfelder sehr unterschieden Bedeutungssysteme mit sich bringen, ergänze ich meine Arbeiten in erster Linie über inhaltliche Einordnungen. Dadurch lassen sich meist auch formale Aspekte/meine fotografischen Entscheidungen einbetten.
Inzwischen liegt mein Fokus verstärkt auf den politisch erzeugten Ordnungen, die Bewegungen und Beziehungen von Körpern determinieren. Die Linien dieser Systeme verlaufen entlang/durch Körper – weshalb Körperlichkeit für mich der Ausgangspunkt meiner Untersuchung ist. Dabei geht es mir nicht (nur) um den Körper als sichtbares Objekt, sondern um seine soziale und politische Verfasstheit: Wie wird Körperlichkeit konstruiert, kontrolliert, zugelassen oder ausgeschlossen? Von wo gehen wir aus, wie beeinflusst unsere Situierung unsere Wahrnehmungen/Bewegungen in der Welt und auf welchen Grundlagen basieren diese Positionen? Und vor allem: Wie kann Selbstbestimmung und Gleichberechtigung verwirklicht werden?
Ich glaube, dass sich performative Situationen grundsätzlich fortlaufend und in ganz unterschiedlichen Kontexten ergeben. Sie sind weniger etwas, das ich gezielt erzeuge, als vielmehr etwas, das sich durch die Beziehungsarbeit zwischen mir und den Personen, mit denen ich arbeite, herausbildet.
In meiner Praxis, in der Geschlechterperformance eine zentrale Rolle spielt, ist das performative Moment zumeist bereits implizit im Raum – als Haltung, als Geste, als potenzielles Zeichen. Im besten Fall wird es im Laufe der Zusammenarbeit sichtbar, lesbar und beweglich. In zwei aktuellen Arbeiten spielen außerdem konkrete Bezüge zu Referenzen vergeschlechtlichter Haltungen eine Rolle.
Das ist der Moment, in dem Bilder beginnen Ton und Tempo bestimmen und die Dramaturgie zu gestalten. Inhalte verdichten sich, Bilder offenbaren ihren eigenen Anspruch.
Editieren ist für mich eigentlich so wichtig wie das Fotografieren selbst.Wie Wortwahl und Grammatik einem Text seine Struktur verschaffen, sind Bildauswahl und Platzierung für mich essenziell. Hinzu kommt, dass mir der Austausch mit den von mir portraitierten Personen sehr wichtig ist, um eine möglichst gleichberechtigte Zusammenarbeit zu gewährleisten - sie sind stets in den gesamten Prozess eingebunden.
Ja! Für die Eröffnung am 16. Mai im Rahmen des Photoszene Festivals arbeite ich zurzeit an zwei neuen Serien: ALIAS und Breach of Realms.
Insgesamt zeige ich dort 3 Arbeiten: einen Auszug aus fragmentierten Drag-Looks, Anfänge einer zeitgenössische Fortführung von Marianne Wex‘ „weiblicher/männlicher“ Körperhaltungen im öffentlichen Raum sowie 3D Reliefs von KI generierten Bildern, die an Transkörpern scheitern. Parallel dazu läuft außerdem meine Produktion von echo, die ich in diesem Jahr durch das Stipendium der Zeitgenössischen Deutschen Fotografie realisieren kann.
Modi von Beziehungen - zur Konstruktion räumlicher Bedingungen
In gesellschaftlichem Zusammenleben ist der Körper nicht nur ein biologisches, sondern vor allem ein soziales und politisches Phänomen. Die Art und Weise, wie Körper in verschiedenen Räumen existieren, befindet sich in stetigen politischen Aushandlungsprozessen. Politisch meint hierbei nicht nur parlamentarische Prozesse, sondern gesellschaftliches Zusammenleben generell. Körper sind keine isolierten Elemente, sie stehen in Beziehung zu den Räumen, die sie durchqueren, sei es in der physischen Welt oder in digitalen Sphären. Ausdruck und Bewegungen der Körper im Raum sind an dessen Beschaffenheit gebunden. Diese Gegebenheiten sind allerdings keineswegs zufällig — sie werden durch gesellschaftliche Normen kontinuierlich konstruiert und (neu)definiert. Diese Aushandlungen sind sowohl zwischenmenschlich als auch strukturell in Machtverhältnissen eingebettet.
“It is a privilege to never have to consider the spaces you occupy.“[1]
Räume, physische wie digitale, sind also stets Resultate gesellschaftlicher Entwicklungen, Raum ist darum nicht neutral. Imperiale Mächte haben geografische Räume fortwährend überwältigt und aufgeteilt, um ihre Herrschaftssysteme zu etablieren. Diese globalen Prozesse prägen bis heute soziale und politische Hierarchien und Geografien. Räume werden entworfen, indem sie an Bedingungen und Bedürfnisse geknüpft, geschaffen und verändert werden, Infrastrukturen orientieren sich an bestimmten Fähigkeiten und Sinnen. Äußere Faktoren geben Raster vor, um die Abläufe im Inneren strukturieren. Äußere Faktoren meinen hierbei kulturelle Einigungen und politische Ordnungen, die sich in einem Spektrum von ethischen Grundsätzen bis realpolitischen Abläufen verwirklichen. Als Rahmungen prägen diese Regelsysteme Form, Bewegung und Wahrnehmung von Körpern. So werden die Ansprüche auf Raum ungleich verteilt — die Einnahme durch privilegierte Körper führt zu wirksamer Verdrängung als „anders” markierte Körper.[2]
Ein Bruch dieser Ordnungen wird sozial bis juristisch sanktioniert. Im physischen Raum sind es Staaten-/Stadtplanung, Architektur und soziale Normen, die bestimmen, wie und wo Körper sich aufhalten dürfen. Wer Zugang zu bestimmten Räumen hat und wer nicht, wird durch politisch erzeugte Hierarchien von Geschlecht, Klasse, race oder Be_hinderung beeinflusst. Räume sind also nicht bloß Orte, sondern Produkte sozialer Machtverhältnisse.
Formierung von Zugehörigkeit und Differenz
Anhand körperlicher Normvorstellungen werden Räume konstruiert, die (willentlich) nicht allen Körpern gerecht werden. Die Bedürfnisse der Rahmenbedingungen werden in Abstimmungen mit als privilegiert bestimmten Körpern festgelegt, wodurch jede Abweichung dieser Schablone benachteiligt wird. So wird z.B. (öffentliche) Architektur gezielt geplant und eingesetzt, um beispielsweise wohnungslose Menschen zu verdrängen. Ableistische Planungen schließen bestimmte Körper bewusst von der Teilnahme und Teilwerdung am öffentlichen Leben aus. Auch durch institutionelle Räume der Bildung, Arbeit und Justiz wird Körperpolitik reguliert. Diese sind immer auch Orte der Kontrolle, Ausgrenzung und Strukturierung von Macht. Die universitäre Exklusivität und darin enthaltene Ausschlussmechanismen prägen soziale Machtverhältnisse bis heute.
So war die Trennung von akademischem und “anders” markiertem Wissen eine Möglichkeit, gewisse Mittel nur an bestimmte Personen zu vergeben und damit abermals einen Vorsprung zu sichern. Anders meint hierbei generell eine vom weißen-maskulinen Schema abweichende Wissensproduktion. Die Aufwertung von „Klarheit, Gewissheit und Abtrennung“ ging mit der Abwertung vom „weiblichen, mütterlichen“ einher. Die Bewertung von Wissenschaft als ‚wertvoll‘ oder ‚wertlos‘ korreliert mit der Dichotomisierung von Mann/Frau, Wissende/Unwissende, fortschrittlich/rückständig, usw. Auch das Zeitalter der Aufklärung ist nicht losgelöst von Epistemiziden, also der Zerstörung von Wissenssystemen durch z.B. die Unterdrückung von Sprachen, der Verbrennung von Bibliotheken bis hin zur Unterwerfung und Tötung von Menschen, denkbar. So schreibt sich die Kontrolle über Wissen fortwährend in gezielter Unsichtbarmachung und Aneignung ein.
Ein weiteres zentrales Werkzeug politischer (An-)Ordnungen ist außerdem die Unterscheidung zwischen öffentlichen und privaten Räumen. Diese Konstruktion „politischer” und „prä-politischer“ (als unpolitisch dargestellte) Sphären wirkt sich auf die Bemessung politischer Relevanz aus, und drängt eine Vielzahl körperlicher Realitäten in die Unsichtbarkeit. So ist ein Werkzeug des Patriarchats beispielsweise die Tatsache, dass sich große Teile der Machtdynamiken - diese reichen von unterdrückenden Rollenverhältnissen bis zu Femiziden - im intimen Raum abspielen. Männliche Dominanz wird einerseits verdeckt und kann durch das Argument der Privatheit leicht individualisiert werden.
Verschränkte Räume: Wechselseitige Durchdringungen von physischer und digitaler Sphäre
Körperpolitiken in physischen und digitalen Räumen sind untrennbar miteinander verbunden und beeinflussen sich gegenseitig. Die Konstruktion von Raum, physisch und digital, ist stets ein politischer Prozess, der den Körper in vielfältiger Weise diszipliniert, sichtbar macht oder unterdrückt. Digitale Räume werden vor allem durch immaterielle Datenströme und Algorithmen bestimmt. Körper werden hier als Daten sichtbar, die durch unterschiedliche Plattformen und Systeme bewegt und bewertet werden.
Im Digitalen lassen sich einige festgeschriebene Blickregime teils entkoppeln — freier von klassischen Machtstrukturen können Filter hegemonialer Diskurse unterlaufen werden. Einige Plattformen ermöglichen insbesondere marginalisierten Körpern selbstbestimmt zu Protagonist:innen eigener Narrative zu werden. In vielerlei Hinsicht fördert dies die Entstehung einer multidimensionalen Erzählkultur, ermöglicht neue Formen der Erzählung und die Gleichzeitigkeit mehrerer Stimmen. Insbesondere für Körper, die zu mehr als nur einem Ort oder Raum in Beziehung stehen oder Körper, denen Zugänge zu physischen Räumen verwehrt oder entzogen wurden, sind Online-Räume unentbehrliche Orte politischer Teilhabe. Politische Kämpfe sind international miteinander verknüpft, stellen Nähe aus geteilten Zuständen her.[3] Online-Informationsstrukturen ermöglichen es, Widerstand und Protestbewegungen über nationale oder kulturelle Grenzen hinweg zu verbreiten und in internationalen Diskursen sichtbar zu machen. Da aber auch diese Räume wiederum durch Körper konstruiert und gestaltet werden, sind auch sie eingebettet in gesellschaftliche und politische Rahmenbedingungen. Viele hegemoniale Narrative und Muster werden unkritisch von analogen in digitale Sphären übernommen. Diese neuen Strukturen werden zweifellos auch in ihrem destruktiven Potenzial genutzt. Digitale Räume bieten anonymisierte, weitreichende Möglichkeiten, um diskriminierende Ideologien zu verbreiten. Algorithmen sozialer Medien begünstigen dabei häufig polarisierende Inhalte, was die Reichweite extremistischer Gruppen begünstigt. Die Vorstellung des digitalen Raumes als autonomen Ort frei von Unterdrückung ist also nicht weit genug gedacht — als solcher wurde er auch nicht angelegt. Auch hier verfügen bzw. beanspruchen einige mächtige Körper weite Teile und produzieren (Un-)Sichtbarkeiten. Emanzipatorische Prozesse sind politisch hergestellten Regelwerken unterworfen, die Bemessung der Relevanz körperlicher Realitäten weltweit ist grundlegend noch immer von ihrer Sichtbarkeit innerhalb eurozentristischer Informationsnetzwerke abhängig.
Den Möglichkeiten der Einschreibung und Mitgestaltung des Raumes gegenüber stehen also regulierende Prozesse, die digitale Körper kontrollieren. Plattformen setzen Richtlinien durch, die über Zulässigkeit, Relevanz oder Einschränkung entscheiden. Gleichwohl online durch Algorithmen verwirklicht, fußen auch diese auf den sozialen Normen und politischen Interessen der Plattformbetreibenden. Freiheiten des Denk- und Sagbaren können durch einzelne Körper in alle Richtungen beschlossen werden. Sichtbarkeit bzw. Eine Stimme „bekommen“ allein reicht außerdem nicht aus — zum einen wirken sich hierarchische Ordnungen auch darauf aus wer gehört wird, zum anderen birgt erhöhte Öffentlichkeit für vulnerable Körper auch immer Gefahr. Sichtbarkeit ist gut — Sicherheit wäre noch besser. Spätestens die konkrete Realisierung bestimmter politischer Belange ist auf verkörperte politische Praxis angewiesen — Gerechtigkeit muss auch analog gestärkt werden.
Raum einnehmen
„Taking up space as a disabled person is always revolutionary.“[4]
Die Dringlichkeit, eigene Räume zu schaffen ist unentbehrliche Realität für Körper, die aus hegemonialen Infrastrukturen „herausfallen“. Sowohl online alsauch offline sind Räume der geteilten Erfahrung essentiell für kollektive Prozesse der Heilung. Das Sammeln und die Zusammensetzung von Geschichten, die Verständnis bzw. die Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft stärkt, fungiert als Resonanzraum für das Entwickeln der eigenen Stimme. Diese Netzwerke ermöglichen nicht nur individuelle Sichtbarkeit, sondern auch die kollektive politische Agenda und können so solidarische Gemeinschaften fördern. Auch im Kontext von Protest spielen Strategien der Raumeinnahme eine zentrale Rolle, da sie symbolisch und praktisch Machtverhältnisse herausfordern. Indem Protestierende Raum beanspruchen, hinterfragen sie nicht nur die politische Ordnung, sondern auch soziale Normen und Werte, die diese Ordnung stützen.
Am Ende ist die mächtige Masse „äußerer Faktoren“ (in demokratischen Verhältnissen) auch von den Körpern im Inneren abhängig, die auch für deren Aufstellung verantwortlich ist. Weder bestimmen Mehrheiten[5] automatisch Gerechtigkeit, noch sind sie außerhalb politischer Bedingungen zu verstehen. Ihre Rollen sind wechselseitig und nicht statisch. Individuelle Freiheit ist immer eingebettet in strukturelle Ordnungen, dadurch aber nicht automatisch ohnmächtig. Handlungsspielräume müssen sowohl singulär als auch kollektiv freigelegt und überwunden werden.
Raum der Körper: Queere Strategien der Dekonstruktion
Wenn Raum und Körper in so unmittelbaren wechselwirksamen Verhältnissen stehen, wie lässt sich dann die Gestaltung räumlicher Ordnung und Bedingung durch und mit Körpern von innen heraus verhandeln? Figure, Form (2020, ongoing) entspringt aus dem Bedürfnis, sowohl physisch als auch bildhaft Räume zu öffnen, nicht separat sondern intersektional zu denken, um an den Ecken der Normative zu sägen. Die Arbeit ist eine bewusste Einforderung politischer Teilhabe und Berechtigung. Sowohl Körperlichkeit als auch Raum werden hier als fluide und im kontinuierlichen Werden verstanden. Um Normative aufzubrechen, müssen wir zuallererst anerkennen, dass wir unsere Wahrnehmung der Welt durch unterschiedliche Perspektiven betrachten. Ausgehend von unserer Situierung im Raum ergeben sich variable Beziehungen und Verhältnisse zwischen unseren Körpern. Die* US-amerikanische Philosoph:in Judith Butler beschreibt Körper als Modus einer Beziehung[6] der im Verhältnis und in „Gefährdung, Schutzlosigkeit, Verletzlichkeit, wechselseitiger Abhängigkeit, Exponiertsein (…)“[7] mit anderen Körpern steht. Diese Modi von Beziehungen reichen von inter-personellen hin zu strukturellen Verhältnissen.
Figure, Form knüpft an diese Theorie mit kritischen Aushandlungsprozessen von Raum und Beziehung an. Ausgehend von einem konkreten Raum- und Rollenverhältnis werden gegenseitige Abhängigkeiten und Blickverhältnisse bewusst verhandelt. Auch dieses Verhältnis ist ein Modus von Beziehung, in welchem ich mich als Fotograf:in grundlegend in einer Machtposition finde, die über mich hinausgeht. Fotografie ist nie unabhängig von ihren historischen Machtpraxen, die von der grundlegenden Unterscheidung abbildender oder abgebildeter Köper bis hin zu spezifischen Ausbeutungspraktiken im Rahmen kapitalistischer, kolonialer oder militärischer Anwendungen reicht. Im Beziehungsmodus zwischen mir und den Protagonist:innen von Figure, Form ergeben sich darüber hinaus variable Ordnungen sozialer Positionen, die kritischer und sensibler Auseinandersetzung bedürfen. Hier stellen sich zentral sowohl Fragen nach Blickpolitiken als auch die Positionen der Sprecher:innen. Trotz meiner Bemühungen wird meine Perspektive z.B. immer zu Teilen einen internalisierten white-/non-black-gaze nachbilden. Durch meine Situierung außerhalb Schwarzer Welterfahrung wäre es vermessen, mir beispielsweise dieses Blickfeld anzueignen. Die Frage danach wer über oder für wen spricht bzw. von wem gehört wird ist sensibel und komplex. Sprecher:innen-Positionen haben sowohl einen Einfluss auf das Sprechen selbst, als auch auf die damit verbundene Wirkmacht. Zwar sollten diese sozialen Positionen immer eine Rolle spielen, aber nicht per se de-autorisieren, damit beispielsweise essentialistische Konzepte fortschreiben oder Verantwortungen aufheben[8]. Darüber hinaus sind klare Unterscheidungen von Situierungen nicht statisch, verschieben sich zu Teilen je nach Kontext. Ähnlich wie ein Text, der in verschiedenen Räumen unterschiedliche Bedeutungen erzeugen kann[9], sind auch soziale Positionen teils beweglich. Jedes Wir ist heterogen und birgt variable Interessen. Eine gänzlich inklusive Artikulation von Wir ohne Ausschlüsse ist unmöglich[10]. „Das Kriterium der Gruppenidentität wirft viele Fragen für eine Person wie mich auf, da ich mehreren einander entgegengesetzten Gruppen angehöre, wobei meine Zugehörigkeit zu allen jeweils problematisch ist.“[11] Es gibt keine pauschale Regel, sondern bedarf immer einer spezifischer Reflexion der Verhältnisse der beteiligten Körpern zueinander. Ein Umgang und Austausch, der auch offen für Opposition ist, während und nach dem Fotografieren ist für meine Arbeit also unabdingbar — des Weiteren sollen sich auch tiefgreifende Bündnisse für gemeinsame intersektionale politische Kämpfe ergeben. „Es würde darum gehen, diesen Unterschieden auf eine Weise Raum zu geben, dass sie dennoch eine gemeinsame Politisierung und den Entwurf geteilter Standpunkte auslösen und eine Art kollektive Handlungsfähigkeit stärken können.“[12]
Imaginationsräume körperlicher Selbstbestimmung
In Zusammenarbeit mit den Teilnehmenden erprobt Figure, Form Bildräume als Testfelder körperlicher Emanzipation. Im Queeren konditionierter Erwartungen legen die Protagonist:innen Körperlichkeit außerhalb konstruierter Normative frei. Figure, Form schreibt dem Körper selbst keine feste Rolle in der Entwicklung des sozialen Geschlechts zu — vielmehr wird Geschlechtsidentität als eine performative Praxis verstanden, die durch wiederholte Handlungen und Ausdrucksweisen entsteht. Queere Körper leben die Flexibilisierung von Geschlechternormen[13], durch das Unterlaufen der cis-heterosexuellen Matrix. Die selbstbestimmte Definition von Selbst sowie das Zelebrieren komplexer Persönlichkeit werden zum subversiven Akt, starre Vorstellungen von Geschlechtsidentität und Sexualität aufzulösen. Figure, Form entwickelt damit mehrdimensionale Körpersprachen, die Beziehungen von Selbst- und Fremdwahrnehmung verhandeln. Vorgegebene Umrisse werden durch Auflehnung von innen heraus verschoben und umgeformt.
Von Beginn an war die Arbeit nicht nur am Bilderzeugnis, sondern auch am kollektiven Prozess interessiert. Zunächst eröffnet sie den physischen Raum, der als geteiltes Probeareal funktioniert — die Beschaffenheit dieser Räume sowie ihre jeweilige Besetzung entwickelt sich in Kooperation mit den Protagonist:innen. Als nächstes öffnet sich ein Gesprächsraum, in dem Interessen und Grenzen ausgelotet werden. Diese Gespräche gehen ins Fotografieren über und beschäftigen sich darüber hinaus mit einem Fragenkatalog, der sich über die Zeit hinweg entwickelt hat.
Figure, Form versteht auch den Bildraum als gestaltbare Fläche deren Kanten definiert werden können. Formal nimmt der Raum selbst sich sehr zurück, bemüht sich um gleichbleibende und niedrigschwellige Bedingungen — die Einschreibung von Bedeutungen und Codes verdichtet sich auf die Personen.
Von persönlichen bis kollektiven Fragestellungen ausgehend, verfolgen die Teilnehmenden und ich das Kerninteresse an Ausdruck und selbstbestimmter Körperlichkeit, was mit dem bewussten Umgang bzw. der Zurückweisung projizierter Erwartungen einhergeht. Im Einnehmen vom Bildraum und Haltung erarbeitet Figure, Form Wege Körper(teile) von üblichen Sehgewohnheiten zu lösen. Ganz bewusst konzentrieren sich die Bilder hierbei auf fragmentarische Darstellungen, die schlussendlich auch als Sequenz immer nur einen Bruchteil preisgeben und dem Portrait keine Vollständigkeit abverlangen. Als ebenso wichtig wie die Einleitenden Gespräche gelten für mich zudem der gemeinschaftliche Austausch bezüglich des Editierens bzw. der Zusammenstellung der Sequenzen in Zusammenarbeit mit den Teilnehmer:innen.
Insbesondere als Fotograf:in ist es mir wichtig, das Verhältnis von Repräsentation und Konnotation kritisch zu bearbeiten. Bilder bilden Menschen nur ab, sondern formen auch aktiv Wahrnehmungen und Erfahrungen mit. Darstellungen manifestieren Assoziationen, die zu Konnotationen verfestigt werden. Durch eindimensionale Darstellungen und entmenschlichende Perspektiven vollzieht sich eine Abstraktion der Menschen. Der Absolutheitsglaube[14] an die eigene Perspektive verunmöglicht ein Treffen auf Augenhöhe, (vermeintliche) Neugier wird zu Inspektion, Kategorisierungen zu Machtpraxis. Eine Kategorie ist nicht gleich eine Kategorie, sie hängt im ersten Schritt von der Perspektive ab, die sie aufstellt und im nächsten Schritt von der Bemessung ihrer Vollständigkeit. Im Untermauern bestehender Überlegenheitskonzepte[15] prägen (mediale) Darstellungen effektiv die den Körpern zugestandene Individualität. Diese Stereotype wirken gleichermaßen innerhalb von „künstlicher Intelligenz“, denn solange diese Systeme ihr Wissen von bestimmten Personen empfangen, werden sich auch diese Perspektiven und Projektionen in ihnen widerspiegeln. Die Kontrolle über (pop-)kulturelle Darstellungen ist also mit Macht und Beherrschung verschränkt. Sie prägt Selbst- und Fremdwahrnehmung, sozialisiert Schauende wie Gesehene. Dabei geht es bei Repräsentation nicht lediglich um das Nicht-Sichtbare, sondern auch um aktiv Verdrängtes und Ausgelöschtes. Neben dem Erproben körperlicher Rückeroberungen schreibt sich Figure, Form als Sammlung queerer/trans Exzellenz in vorherrschende Narrative ein. Im unangepassten Entwickeln und Zelebrieren nicht-konformer Körperlichkeit und dem Reclaiming von Bildsprachen stecken wiederständige Potenziale der Ein- und Umschreibung.In Anlehnung an die US-amerikanische Autorin bell hooks liegt der Fokus hierbei auf einer Praxis des kritischen Ablehnens — einer Notwendigkeit, Brüche und Risse innerhalb von Darstellungstraditionen[16] wahrzunehmen. So wird ein oppositioneller Raum für die eigene Benennung und Darstellung realisierbar, der langfristig als Referenz des Möglichen funktioniert. Diese Imaginationsräume allein werden jedoch nicht reichen — auch sie sind letztlich auf Willens-Verkörperungen angewiesen, die die Strukturen der Unterdrückung entschlossen durchschreiten und dauerhaft demontieren.
„Im Widerstandskampf liegt die Macht der Beherrschten darin, ihre Handlungsfreiheit zu behaupten, in dem sie „Bewusstheit“ für sich in Anspruch nehmen und pflegen. Das wiederum politisiert die „Sichtverhältnisse“ - wir lernen, auf eine bestimmte Art zu sehen, um Widerstand zu leisten.“[17]
[1] Ho, Sandy, 2020, Canfei to Canji -The Freedom of Being Loud, Disability Visibility: First-Person Stories From The Twenty-First Century, edited by Alice Wong, S. 116
[2] Roig, Emilia, 2021, Why We Matter: Das Ende der Unterdrückung, Aufbau, S. 294
[3] Vgl. Hilal, Moshtari, 2024, Hierarchien der Solidarität, Wirklichkeit Books, S. 39
[4] Ho, 2020, Disability Visibility, Vintage
[5] Vgl. Varatharajah, Sinthujan, 2024, Hierarchien der Solidarität, Wirklichkeit Books, S. 96 - 99
[6] Butler, Judith 2014, Bodily Vulnerability, Coalitions, and Street Politics. Critical Studies 37, S. 114 „we cannot extract the body from its constituting relations“
[7] Butler, 2010, Raster des Krieges: Warum wir nicht jedes Leid beklagen, Campus Verlag S. 10
[8] Vgl. Spivak, Gayatri Chakravorty, 2007, Can the Subaltern Speak?, Turia & Kant
[9] Vgl. Alcoff, Linda Martín, 2023, Das Problem, für andere zu sprechen, Reclam S. 20
[10] Vgl. Martinez Mateo, Marina, 2023, Nachwort: Linda Alcoffs „Probleme“ Versuch zur politischen Kollektivität, Reclam S. 76
[11] Alcoff, 2023, S. 11
[12] Martinez Mateo, 2023, S,90
[13] Vgl. Roig, 2021, S. 50
[14] Vgl. Gümüşay, Kübra, 2020, Sprache und Sein, Hanser Berlin S. 133
[15] Vgl. bell hooks, 1992, Black looks: Race and Representation, South End Press, S. 47
[16] Vgl. Annette Kuhn, 1990, The Power of the Image: Essays on Representation and Sexuality, Routledge
[17] hooks, 2019, S.169
Essay für die Begleitpublikation “VIRAL HALLUCINATIONS - Körperbilder in Bewegung” zur Ausstellung STATES OF REBIRTH - Körperbilder in Bewegung vom 21.02. — 17.08.2025 zu sehen im Haus der Photographie der DEICHTORHALLEN Hamburg
Queere Utopien
In der mehrteiligen Installation FIGURE, FORM von Roxana Rios (ab 2020), einer raumgreifenden Präsentation auf mehreren Screens, schreitet die Transgression fort. Körperfragmente scheinen hier ebenfalls eine Geschichte zu erzählen. Doch die Form des Fragments ist hier weiter gefasst: In FIGURE, FORM sind diverse Personen zu sehen, deren Gesichter, Posen und Blicke verschiedene Konstellationen und Situationen pluraler Körperlichkeiten zeigen. Queere, unterrepräsentierte Identitäten werden sichtbar, und es ist bei den Fotografien zu spüren, dass sie das Ergebnis einer längeren „Porträtarbeit“ sind, bei der es laut Roxana Rios gilt, einen neuen Handlungsraum zwischen den am Bildprozess Beteiligten zu entwickeln.[1] In diesem poetischen Tableau der inszenierten Vagheit entfaltet sich eine queere Ästhetik, fluide und doch exakt, verletzlich und doch kraftvoll. Fotografisch tastet Roxana Rios deren unhierarchische Zwischenräume ab – Wimpern, Beine, Kopfhaare, Geschlechtsteile, Augenbrauen, Achselhaare, Nacken, Tatoos, Bärte, Hautoberflächen und Muttermale werden gleichwertige Aktanten, die das Körperfeld vorläufig strukturieren. Sie können potenziell zu immer wieder neuen Figuren und Formen finden; der Prozess ist unabschließbar. Kunsthistorische Gattungen und Genres wie das Porträt, der Akt oder das Tableau vivant scheinen auf, werden durchquert und wieder verlassen. In dieser Utopie als Bild, in der sich das Queering nicht nur auf Geschlechterkonstruktionen bezieht, sondern als Akt der Befragung per se verstanden werden kann[2], wird das Haar aus seinen Bedeutungszuschreibungen und Normierungen entlassen.
Aus “Grow It, Show It! Haare im Blick von Diane Arbus bis TikTok”
Museum Folkwang, September 2024 erschienen im DISTANZ Verlag
ISBN 978-3-95476-690-1, S. 201
[1] - dieMotive - Podcast zur Kultur der Fotografie, Podcastbox #5, Roxana Rios im Gespräch mit Alexander Hagmann, 9.11.2023, https://diemotive.de/podcastbox-5-roxana-rios/
[2] - Ebd.
ART GO EAST, Biennale For Contemporary Art ‘to cure’ - FIGURE, FORM von Roxana Rios
FIGURE, FORM stellt die Formen, Gesichtsfragmente und Gliedmaßen nicht-binärer Körper in den Mittelpunkt. Roxana eröffnet einen intimen Raum, in welchem diese unhinterfragt existieren können; ein heilender Raum, der die Geschlechterdichotomie - ganz im Sinne Judith Butlers - als Illusion entlarvt. Laut Butler hindern Normen daran, uns andere mögliche Lebensformen als Möglichkeiten vorzustellen und sie als legitim zu betrachten. Die Fotografien von FIGURE, FORM zeigen die Körper befreit von jeglichen Zuschreibungen und Wertungen, Referenzen und Symboliken. Der entstandene Raum erweitert sich über die Bildschirme hinaus, schließt die Betrachtenden ein und erschafft ein Versuchsfeld für utopisches Denken und neue fluide Realitäten, in denen normative Eindeutigkeiten nicht länger zentral stehen. FIGURE, FORM ist als Sammlung konzipiert, die durch Roxana und die Teilnehmenden ständig erweitert wird und queere Bildwelten Sichtbarkeit und Relevanz gibt.
RAUM FÜR FOTOGRAFIE - Kunstmuseum Erlangen, Roxana Rios
Roxana Rios untersucht künstlerisch den Körper als ein politisches Gebilde und ein auf dem gesellschaftlichen Blick basierendes Konstrukt. Die persönliche und wissenschaftliche Beschäftigung mit queerer Theorie, Strategien sowie das Hinterfragen von politisch und gesellschaftlich geprägten Körperbildern und Bildtraditionen sind immer Teil dieser (fotografischen) Auseinandersetzung. In der Ausstellung werden Roxana Rios’ aktuelle Werkkomplexe FIGURE, FORM und BUT, I TRANSITION miteinander verwoben. Die Portäts der Serie FIGURE, FORM sind in der neutralen Ästhetik eines Fotostudios aufgenommen. Entgegen vermeintlich festgeschriebener Darstellungsnormen zeigen die Porträts in der Wahl des Bildausschnitts und der Dynamik der aufgenommenen Körper den Prozess der Suche nach neuen Formen des Ausdrucks. Roxana Rios fragt aus einem queeren kunstwissenschaftlichen Ansatz heraus: Wie kann oder muss Kunst auf die Bildtradtitonen im Zusammenhang mit der Darstellung von Körpern reagieren ? Wie können diese Bildtraditionen aufgebrochen und umgeschrieben werden ? Es geht Roxana Rios hier darum, den Begriff queer nicht nur auf Gender uns Sexualität zu beziehen, sondern als subversiven Akt hin zu einer Infragestellung von Normen jeglicher Art. In diesem Sinne fordern die Bilder die Betrachtenden dazu auf, ihre Blickfelder als sozial geprägte Perspektiven zu verstehen. Dies eröffnet mehrere gedankliche Ebenen. Zum einen wird der Blick vonaußen thematisiert, zum anderen die politische Lesart, die dahinterstehen kann. Als dritte Ebene kommt Roxana Rios künstlerische Praxis hinzu, diese beiden vorigen Ebenen aufzulösen und die Darstelluzng und Betrachtung von Körpern aus der Tradtition zu entkoppeln und ein erweitertes Bildgedächtnis anzulegen. Auch durch die Präsentationsform wird das Moment des im Wandel begriffen-Seins noch einmal sinnbildlich im Ausstellungsraum deutlich. Nicht als einzelndes Bild an der Wand, sondern im stetigen Wechsel auf Screens erscheinen Bilder, die die gleiche Person in unterschiedlichen Haltungen zeigen. Der Blick der Betrachtenden muss in Bewegung bleiben. Durch die Einbettung in den Kontext eines weiteren künstlerischen Werks - BUT, I TRANSITION - wird die fotografische Arbeit npochmals um eine installative sowie performative Dimension in den Raum erweitert. Auch hier wird die Befragung des Körpers thematisiert und gleichzeitig wird der Körper als Material verstanden, mit dem unmittelbar auf den umgebenden Raum reagiert wird. Indem darüber hinaus das Studio, der Greenscreen und die Kamera selbst ins Bild gestezt und Teil der Installation werden, wird auch auf die Räume verwiesen, die noch nicht besetzt, noch zu besetzen sind.
ON POLITICAL BODIES queering the archives
The scrutiny on our bodies distracts us from what’s really going on here: control. The emphasis on our appearance distracts us from the real focus: power.
Alok Vaid-Menon
Der Körper wird seit jeher als politisches Instrument eingesetzt, um Belange innerhalb gesellschaftlicher (An-)Ordnungen zu strukturieren. Die Theorie der Gleichbehandlung findet ihr realpolitisches Ende gerade in der Regulierung politischer Teilhalbe über den Körper. Mein Denken und Sprechen über Körperlichkeit in der Kunst wendet sich darum zuerst der politischen Dimension des Körpers zu - ausgehend von einem Verständnis von Politik als der Aushandlung und Gestaltung von Gesellschaft, auch außerhalb parlamentarischer Praxis. Die moderne Konzeption des demokratischen Staates entspringt der Idee eines aus Individuen zusammengesetzten Staatskörpers, der zwischen einzelnen Körpern nicht unterscheiden will. Durch einen freiwilligen, vertraglichen Zusammenschluss soll eine Gemeinschaft geformt werden, in der alle über die selben unteilbaren Rechte verfügen. Jedoch prägt Körperlichkeit wechselwirksam das Maß von politischer Teilhabe sowie die Erfahrung von Lebensrealität. Über Körper werden Unterschiede geltend gemacht, die sowohl über Privilegien beziehungsweise Diskrimierung entscheiden als auch politische Handlungsräume beschneiden. Die Grundstruktur der Bevorzugung weißer cis-männlicher Körper wirkt bis heute: Durch die Intersektion von z.B. race, Geschlecht, Sexualität, einem neurotypical-non-disabled-body und monetärer Ausgangslage besetzen Personengruppen durch diesen Vorsprung großflächig das Recht der politischen Teilhabe. Es ist insofern nur logisch, dass politische Kämpfe um Gleichberechtigung den Körper als zentrales Thema umkreisen.
In meiner künstlerischen Arbeit wird Körperlichkeit als fluides, performatives Material untersucht. Die Auseinandersetzung orientiert sich unter anderem an Judith Butlers’ Theorie vom Geschlecht als Praxis, einer Analyse von konstruierter Binarität, und der Unmöglichkeit des prä-politischen Körpers. Durch politische Ordnungen, die schon vor der Geburt auf Körper übertragen werden, konstruiert Kultur Vorstellungen von Sexualität und Identität. Innerhalb dieser Machtpraxis werden Verbindungen zwischen biologischem Geschlecht, kultureller Identität und Begehren hergestellt, die keinem logischen Ursprung entstammen. Mein Arbeiten mit politischen Körpern findet in einer Auflehnung gegenüber dieser konstruierten Normative statt, die sich Selbstbestimmung erschließt und Teilhabe einfordert. Dem Körper wird an sich keine Distribution für die Entwicklung des sozialen Geschlechts zugeschrieben, Geschlechtsidentität wird als performative Praxis verstanden, die in kulturelle Systeme eingebettet ist und politisch erzeugt wird.
We’re all born naked and the rest is drag.
RuPaul
Neben der Praxis des kritischen Ablehnens gehören Sichtbarkeit und das Ausbilden von Gemeinschaft zu den wichtigsten Zielen von FIGURE, FORM. Die Arbeit behandelt Körperlichkeit als ein souveränes Medium, das der Verwirklichung vom Selbst angewiesen ist. FIGURE, FORM zelebriert nonkonforme Haltung und verfechtet Transkörper als dazzling Subversion von cis-Normativität. Im Rahmen des queerens internalisierter Zuschreibungen versteht sich das Projekt als Ort für das Erbproben das Projekt als Ort für das Erproben körperlicher (Rück-)Eroberungen, die Einschreibung in und das queeren vorherrschender Narrative.
Queer is a continuing moment, movement, motive-recurrent, eddying, troublant. Keenly, it is relational, and strange.
Eve Kosofsky Sedgwick
Der Begriff queer hat geschichtlich eine Vielzahl von Bedeutungen durchlebt und wird heute als ein Schirmbegriff verwendet, der je nach Kontext seine Funktion empfängt. Queer oder queering lassen sich nicht pauschal auf eine Bedeutung herunterbrechen und bergen als Begriff auch die Gefahr, verschiedenste Erfahrungen und Positionen unsichtbar zu machen. Nach seiner Verwendung als Beleidigung gegenüber nicht-cis-heterosexuellem Leben wurde der Begriff von der LGBTQIA+ community während politischer Selbstermächtigungsprozesse wie dem Stonewall-Protest, Act-UPoder der AIDS-Bewegung zurückerobert. Queer entwickelte sich damit von einer negativ konnotierten Beleidigung hin zur Selbstbezeichnung für Menschen mit sexueller Orientierung und oder Geschlechtsidentität außerhalb heteronormativer Vorstellungen. Queer fungiert als ein Überbegriff für gemeinsame nicht-cis-hetIdentitäten und oder sexuelle Vorlieben, sowie eine geteilte politische Agenda und Welterfahrung. Als Selbstbezeichnung ist queer Ausdruck von Stolz, Zugehörigkeit und Selbstermächtigung. Darüber hinaus hat sich der Begriff als kontextunabhängiges Werkzeug etabliert, welches darauf abzielt, Normative auch jenseits von politischer Agenda und sexueller Identifikation generell zu hinterfragen. Queering ist nicht nur als Substantiv, sondern auch als Verb zu verstehen - als eine Praxis, die in jedem Kontext anwendbar ist - als die theoretische Idee, jede etablierte Regel oder Routine grundsätzlich auf die Probe zu stellen. Um dieses Hinterfragen dann umzuwandeln, in ein aktives Demontieren von Normativen, in ein Öffnen von Denk-, Sprach-, und Handlungsräumen. Als Verb beschreibt queering das Ziel, den Status quo zu dekonstruieren und weiterzuentwickeln.
Queering is something we do, rather than something we are (or are not).
Meg-John Barker, Julia Scheele
Meine Beschäftigung mit queeren Konzepten bezieht sich vordergründig auf meine künstlerische Praxis und Lebensrealität. Für mich beschreibt queer einen Schlüssel zu Denkräumen, in welchen ich Ansätze platzieren kann, die in meiner Umgebung nicht mitgedacht sind. Innerhalb dieser Räume ist es mir möglich, (Un-)Ordnungssysteme zu entwickeln, Wort, Ablauf und Gegenstand von Konnotation zu trennen. Dieser Raum ermöglicht es, eine Vorstellung vom Abrücken erwarteter Funktionen zu entwickeln und erlaubt mir, Darstellungsentwürfe zu spiegeln. Weiter verstehe ich Queerness als den radikalen Anspruch, jede Ebene von Identität auszuleben, ohne Nachteile davon zu tragen. Neben dem Sprechen über Queerness thematisiert meine Arbeit die Dringlichkeit von Repräsentation. Die Relevanz von Themen und Auseinandersetzungen können nicht am Maß ihrer Präsenz im “zeitgenössischen Kanon” bemessen werden. Nur weil ich sie nicht sehe, heißt das nicht, dass sie nicht da sind. Nur weil sie in meiner Umgebung nicht präsent sind, bedeutet das nicht, dass sie bereits abgeschlossen wären, im Gegenteil. Das weiße Patriarchat bewegt sich sehr selbstbewusst, stolz bis arrogant. Ständig von diesem Narrativ umgeben zu sein und keine eigenen bestärkenden Vorbilder zu sehen, kann eine sehr bedrängende Wirkung haben. Leicht verschleiert es so seinen konstruierten Charakter.
If you’re creating worlds where certain identitys, body types, entire races, different sexual orientations don’t exist, you’re creating a lie that does damage to viewers that internalize what they see.
Storyblocks
Während meine Arbeit vordergründig von visueller Repräsentation spricht, geht es nicht nur um Wirksamkeit vor der Kamera, sondern um Machtpositionen generell, was unabdingbar ist, um mehrsprachige Räume zu schaffen und Konzepten von safer spaces näher zu kommen. Repräsentation schafft Konnotation. Wenn wir sie nicht infrage stellen, reproduzieren wir automatisch rassistische, sexistische, ableistische, klassistische, (…) Hierarchien - ganz einfach durch die Weltordnung, in der wir leben. Für immer mitgedachte Körper mag es banal scheinen, aber die Bedeutung von Repräsentation ist zum Beispiel erst kürzlich im Zusammenhang mit der ersten Schwarzen Arielle berührend deutlich geworden. In der Neuverfilmung wird die Hauptrolle von Halle Bailey verkörpert, sie ist damit die erste Schwarze Schauspielerin in dieser Position. Zahlreiche Clips von Reaktionen auf den Trailer zeigen eindrücklich, wie bewegend dieser Umstand für viele Schwarze Kinder ist. Positive Vorbilder und (pop-)kulturelle Referenzen sind prägende Bezugspunkte für ein Verständnis und eine Verortung des Ichs in der Welt. Ständig wiederholte Zuschreibungen schüren Erwartungen und begrenzen (selbstbestimmte) Entfaltung.
FIGURE,FORM erarbeitet gemeinsam mit den Teilnehmenden eine ongoing Sammlung, eine Manifestation queerer Intelligenz und Relevanz. Die Arbeit entspringt dem Bedürfnis, das Bild als Raum zu begreifen - an den Ecken des Normativen zu sägen, Räume zu öffnen – nicht getrennt, sondern intersektional zu denken. Sie behandelt Repräsentation und Geschichtsschreibung im Jetzt als Archivarbeit und begreift das Einschreiben queerer Narrative als future archive, einen Bezugspunkt für zukünftiges Auffassen.FIGURE,FORM öffnet physische und bildhafte Räume als geteiltes Testfeld für das Untersuchen von Beziehungen zwischen Körper und Funktion,Identität und Attribut.
Everything I am, is the version right now.
Das Projekt entwickelt einen unabhängigen Bilderpool, der als ein Repräsentant in intersektionaler und queerfeministischer Perspektiven arbeitet. FIGURE,FORM erstreckt sich in ihrer Auseinandersetzung über konstruierte Ordnung, erprobt Grenzen von Physis und versucht - im Abstrahieren und Dekonstruieren der Lesbarkeit von Figur und Form - eine Unkörperlichkeit im politischen Sinne zu entwerfen.
Auszug aus Roxana Rios’ Beitrag zum Begleitkatalog der Veranstaltungsreihe ‘POSITION. Forum/Ausstellung, FORUM 2022 - DER KÖRPER IN DER KUNST Kunsthaus Hamburg, ein Format des BBK Hamburg
BUT, I TRANSITION // FIGURE, FORM
Like the intermedial, fluid materiality that dynamically intertwines between installative forms of photography, sculpture, and the performative, Roxana Rios’s explorations of corporeality as fluid, performative material form in the groups of works.
In a sculptural rehearsal, bodies and movement in BUT, I TRANSITION break free from two- dimensional space, testing the shifting of everyday-modifying bodily foci and dimensions as a personal and artistic process of transformation. The focus is on the further development of questions about body-centered criteria and boundaries that affect gendering and its own and external levels of perception.
What spaces of thought and action can different materialities and formats open up to enable reflection on corporeality in a mode of the full range of possibilities?
As a future archive, FIGURE, FORM commits to the indispensable need for sustained visualization and representation of queer intelligence and relevance in contemporary history. FIGURE, FORM establishes a practice of critical refusal conceived as a collaborative, intersectional one that narrates collective experiences of the world embedded in constructed structures. As it were, an interdependence understood as an alliance emerges during the artistic production, an abstract body of the we from which and for which the works work.
Thus, the work manifests in the rebellion of political bodies against the constructed normative of the binary of gender and identity and the celebration of nonconformist attitudes and transbodies as dazzling subversion of cis-normativity through which self-determination is accessed and participation is claimed.
Both groups of works are based on Roxana Rios’ self-understanding of their own artistic work as being closely interwoven with real political conditions. Expression, form and content enter into a dialogical coexistence that develops a language and spaces for what is supposedly beyond what can be thought and said.
FIGURE, FORM
Das fotografische Porträt spielt eine wesentliche Rolle in verschiedenen kulturellen und sozialen Kontexten, von staatlichen Praktiken über intime Erfahrungen bis neoliberalen Selbstdarstellungen, die alle die Beziehungen zwischen Personen und Bildern formen. Indem letztere der Logik von Multiplikation und Verflechtung von mehr oder weniger notwendigen, visuellen Vergewisserungen existierender Selbst folgen, vermehren sie sich schnell und üben auch in ihrer Vielheit eine große Anziehungskraft. Historisch bilden das Porträt als Genre und die Fotografie eine symbiotische Allianz, denn letztere kann zweierlei vereinen – die Ausfransungen (spät)kapitalistischer Bildproduktion mit ihrem Gegenteil, dem intimen Umgang mit dem Abbild menschlicher Gesichter und Körper. So vollzieht sich die Verortung des fotografischen Bildes immer zwischen den Kategorien, ähnlich wie die im Wandel begriffenen Identitäten, die Roxana Rios aus queer-feministischer Perspektive formuliert. Für die Abschlussarbeit FIGURE, FORM spaltet Rios Porträts in Bilderserien auf, in denen sich in der Akkumulation und der Präsentation einzelne Körperformen, Gesichtsfragmente und Gliedmaßen zu weiteren, nicht-binären Figuren und Einheiten zusammenfügen. Als visuelle Reflexion über das Menschsein markiert die Werkgruppe mit materiell spürbarer Nähe zu einer formbaren, physischen Realität kritische Bezugspunkte zu den dynamischen Dimensionen von Identität.
FIGURE, FORM
Roxana‘s work focuses on people. The human being is examined as part of society and the medium of photography is questioned at the same time. I read active involvement in Roxana‘s work: The stagings show an active creative process. The collaborative dialogue between photographer and subject seems obvious to me and at the same time an essential aspect of the work. In addition, a second level of dialogue opens up: that between the work and the viewer. The work makes attributions visible, these are social roles and norms. It questions what we see — and participates in current social and aesthetic debates. Therefore Roxana through their work claims a space in society and is politically active.
Portraits 2008—13
Niemand wird heute mehr glauben, dass Fotografie schlicht ein Abbild von etwas Geschehenem ist. Fotografie ist immer von der Absicht und der Haltung jener Person abhängig, die sich hinter der Kamera befindet und das aufgenommene Material dann bearbeitet. Wer sich künstlerisch mit ihr beschäftigt, kann in der Fotografie noch eine weitere wichtige Eigenschaft entdecken und nutzen. Tatsächlich steckt in ihr das Potential, wie bei einer Sprache einen Schatz an (visuellen) Subjekten und Objekten zu schaffen, eine Grammatik zu generieren. Roxana Rios nutzt die Fotografie, um das Umgebende aufzuarbeiten und überträgt die Idee von verbalen Sprachspielen auf Bildhaftes. Der Vergleich wird deutlich, wenn wir uns bewusst machen, dass das von uns hier abgebildete Portrait kein unabhängiges Motiv, sondern zugleich Teil einer verflochtenen Beziehung von Bildern untereinander ist. Roxana Rios spricht von einem Bildkollektiv, aus dem they schöpft und welches they zugleich befüllt hat. Dies geschah mit der Sichtung von älteren Aufnahmen, die zwischen 2008 und 2013 entstanden sind. In einem improvisierten Studio hatte Roxana den damaligen Freund:innenkreis fotografiert. Die jugendlichen Akteur:innen lösten sich im Verlauf der Shootings aus ihren Rollen, die sie vor der Kamera zunächst eingenommen hatten. Die Arbeit beschäftigt sich mit Fragen an das Portrait, dem „noch finden“ der eigenen Identität und ihrer Darstellung, und im wesentlichen mit Momenten, in denen die Akteur:innen „losließen“ von jenen jugendlichen Selbstdarstellungen.
Wichtig ist für den künstlerischen Prozess der Umgang mit dem archivierten Material. Roxana Rios wählte jene Aufnahmen aus, die in einem neuen Zusammenhang ihre Gültigkeit bewahren konnten, die sozusagen neue „Sätze“ bildeten. Roxana betrieb eine Aufarbeitung des Archivs, nicht im technischen, sondern geistigen Sinne. Obwohl der Ausgangspunkt, Portraits von Jugendlichen, erhalten blieb, „sprachen“ die Bilder nun anders. Der junge Mensch mit nacktem Oberkörper, dessen Blick gesenkt ist und der sich in einem Moment der inneren Konzentration zu befinden scheint, hat nichts von der ursprünglichen Authentizität verloren. Es ist die Zeitlosigkeit eines Ausdrucks, der zwischen Körper und Seele zu schweben scheint. Durch den Kontext im Bildkollektiv steht das eindrückliche Portrait jedoch nicht isoliert, es ist jener Umgebung entwachsen, obwohl es als Einzelbild seine Aussagekraft bewahrt.
Das menschliche System
Es existierten undokumentierte Ebenen der Kommunikation. Viele Experimente in der Welt der Fotografie widmeten sich bereits dieser unerkannten Kommunikation. Roxana Rios experimentiert nicht. Roxana erkennt Spannungen zwischen Strukturen, Formen und situativen Inhalten, die konventionelle Weltanschauungen aushebeln. Darin bedient they sich der Sprache im unbedingten Sinne: Wörter werden zu einer Bildoberfläche, die sich zwischen ihren Fotografien an Zeichnungen stellen, um Unsichtbares sichtbar zu machen: Es sind abgekoppelte Zusammenhänge, die Rios zum Vorschein bringt.
Man muss genau hinsehen, sensibel sein, um die große Kraft der Arbeit zu erleben. Denn die kommunikative Initiative, die Roxana ergreift, stellt they in komplexen Systemen dar. Roxana benennt das menschliche Dasein, als Anhäufung biochemischer Materie, die in der permanenten Wechselwirkung zu physikalischen Gesetzen stehen. Einen großen, perspektivischen-Wechsel bietet they uns in their Weltentwurf an. Dabei generieren sich ganz unterschiedliche ästhetische Muster. Rios’ Bild- und Gedankenwelt formt ein ganz menschliches Muster – ein menschliches System - das innerhalb seiner inhaltlichen Anwendung der, uns umgebenden, Veränderung eine Form geben kann. Ich glaube das Kommunikation ein Lebewesen ist. Wenn ein Mensch versucht es zu fotografieren, dann ist es Roxana Rios.
Über die Fragmentierung von Momenten – Fotografie als Sprache
Eine Person auf einem Balkon, ein verknittertes weißes T-Shirt, die Arme abgestützt am Blumenkasten, der Blick nach unten gerichtet. Im Hintergrund die Fensterreihe des gegenüberliegenden Hauses. Ihr Gesicht wird vom rechten Bildrand abgeschnitten und doch kann man den Gesichtsausdruck erahnen: ruhig, nahbar, ehrlich. Sie weiß, dass man hinter ihm steht und sie weiß, dass wir sie ansehen.
Ein Foto von Roxana Rios, eine Begegnung mit der Person im weißen T-Shirt, aus dem Leben herausgelöst und festgehalten. Ein konservierter Moment, ästhetisch, intim und ernsthaft, so wie alle Fotografien der Künstler:in. In Rios’ Arbeiten werden Momente zu Motiven. Roxana fotografiert Fragmente: ein Arm, ein halbes Dachfenster, zwei Sitze im Auto oder eine Person auf einem Balkon. Losgelöst und ausgeschnitten aus Ihrer Umgebung und ihrem Kontext existieren alle diese Fragmente als autarke Objekte und werden in ihrer Schönheit und Intimität vorgeführt. Dabei macht Rios nicht nur schöne Fotos, vielmehr ist Ästhetik ein Stilmittel von Roxana’s fotografischen Praxis, das uns hilft die Bilder als Momente wahrzunehmen.
Wenn Roxana Rios fotografiert untersucht they die Umgebung mit der Kamera, es entstehen Kompositionen und Muster während Roxana ihr Umfeld durch den Sucher abtastet, sensibel und intuitiv fängt they die Umwelt ein. Der anschließende Umgang mit den entwickelten Bilder ist bei Roxana Rios ebenso interessant und wichtig, they bringt unterschiedliche Bilder und Fragmente in Zusammenhang und schafft dadurch nicht nur neue Assoziationen, sondern entwickelt Narrative. Diese sind jedoch keine szenisch erzählten Geschichten, sondern vielmehr Kollektive aus Umständen, Eindrücken und Fragen an die Welt. Einzelne Momente werden zu Stimmungsbildern, wie in their Arbeiten Löcher sind das Wichtigste am Sieb, Summer Camp oder Und dann ein neuer Tag. Andere Serien wie beispielsweise MUDO, VER, Exolvuntur oder Airmax aus Athen entstehen aus einer konkreten thematischen Auseinandersetzung als Ausgangspunkt. Die Arbeiten untersuchen das Menschsein, die Freundschaft, den Tod, den Körper oder die urbane Umgebung. In oftmals langen Studien erarbeitet Roxana Rios die Annäherung an die Themen. Fotografie ist dabei Kommunikationsmittel zwischen Roxana und der Welt sowie später zwischen den Positionen und den Betrachtenden. Rios arbeitet mit their Bildsprache wie mit verbal gesprochenen Formulierungen und reagiert auf unterschiedliche Motive/Momente flexibel und ästhetisch individuell. Die Sprache ihrer Bilder ändert sich also bewusst bei jeder Arbeit.
Roxana Rios’ Fotografie ist durch Sensibilität und Intimität geprägt. Mit großem Feingefühl für die Menschen und das Umfeld vor ihrer Kamera entstehen Bilder, die mehr sind als Dokumentation oder Reproduktion, sie haben ihre eigene Präsenz und Emotionalität. Bei Roxana Rios werden Motive wieder zu Momenten.
Displant
Das Nu, die Zeit zwischen den anderen beiden Teilen, die irgendetwas Wichtiges bedeuten. Ein winziger Teil innerhalb eines Zeitflusses. Roxana Rios zeigt Ausschnitte aus their Lebenswirklichkeit: subjektive Augenblicke, durch die Kamera materialisiert, die beim Betrachten zur Erfahrungswelt werden. Momente voller Sehnsucht und dem Verlangen, Verborgenes zu entdecken. Rios’ Arbeiten lesen sich wie eine Hommage an die Zeit, die langen Sommernächte, die wir mit Freund:innen verbringen, in denen wir uns fragen, wer und warum wir sind. Momentweise den Betrachtenden zugänglich gemacht, vermitteln die kleinen Zeitfetzen mehr als sie sichtbar machen: Erinnerungen an Erlebnisse, Orte und Begegnungen. Vermeintlich. Denn die fremden Augenblicke sind nur eine Illusion in der eigenen Lebenswirklichkeit.
Mit großer Bewunderung sehe ich, wie wenig Stoff notwendig ist, um eine ganze Welt zu spannen. Ich stelle mir in meinen eigenen Arbeiten oft Fragen zu Sichtbarkeit und Sichtbarmachen: Erschließen 3 Punkte tatsächlich eine Fläche? Kann man mit einer Prise einen Punkt markieren? Kann man etwas erzählen ohne auf das scheinbar Wesentliche einzugehen? Die Serie colocar (portugiesisch für platzieren, (etw.) setzen, legen, anordnen) verbirgt viel und zeigt damit: Ein Nu gesetzt neben ein Nu, beschreibt eine Lücke, die sich füllt, mit allem was im Betrachtenden verborgen liegt.
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Roxana Rios
(they/them) *1994 currently based in Leipzig, Germany.
In 2017 Roxana picked up a double study at HGB Leipzig and AdBK Nuremberg and studied in the classes of Heidi Specker and Juergen Teller. After graduating in 2020 Roxana joined Isabel Lewis‘ class of the performing Arts. They received their Diploma in July 23.
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Their current practice engages in critical discussions concerning the development of (hegemonial) narratives, as well as the relations between image- and knowledge-production. Roxana examines ‘the’ body as a construct, material and representative within social orders.
In this function, the work understands itself as an exercise in utopian thinking, seeing and speaking – a contribution to contemporary, social and aesthetic discourses.
Roxana’s work has among others been shown at Museum Folkwang Essen, DEICHTORHALLEN Hamburg, Museum of Contemporary Art Leipzig, Fotomuseum Winterthur and FOTOHOF Salzburg. Roxana was nominated for the Federal Prize for Art Students in 2020 and won the Contemporary German Photography Grant in 2024. Roxana was selected as a FUTURES Talent in 2025.
2023 — Diploma at HGB Leipzig
2021 — HGB Leipzig class of Isabel Lewis
2020 — Graduate of AdBK Nuremberg
2017-20 — Double Study at HGB Leipzig & AdBK (Academy of Fine Arts) Nuremberg - classes of Heidi Specker / Juergen Teller
2014 HGB (Academy of Fine Arts) Leipzig
2012 Founding member of Fuchsbau Festival Hanover
2009-13 Engagements at Staatstheater Hannover
CLIENTS
Schauspiel Leipzig, Duplex Architects, Kunstverein Dresden, Kunstverein Leipzig, Deutsches Literaturinstitut Leipzig, Literaturhaus Stuttgart, LOFFT Theater, MISSY MAGAZINE, Fuchsbau Festival, Arpana Aischa Berndt, Rosacea, Enis Maci, Martini Cherry Furter, Juba, Bunny Michael, Jungstötter, Ewa Dziarnowska, Xenia Tanikos, Maciej Sado, Kai Merke, Mazlum Nergiz, Authentically Plastic, Sarah Ama Duah, Mykki Blanco, Andras 2020, Martini Cherry Furter, Parisa Madani, Mavi Veloso, LYZZA, Human Margareeta, Julienne Doko, Kai Merke, MUXXXE, Duygu Agal, Ayodamola Okunseinde, MELT! festival (HOEME MAG.), TRUE COLOURS (Ballroom), Snail Eye Festival, Acting in Concert Festival, Yasemin Said, softer spaces - Boshra Manoucherifard & Zain Salam Assaad
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Stand: Mai 2018 | Keine Nennung eines Datenschutzbeauftragten nötig